Giftpfeile, Piranhas und Inzucht
- Roberts Eindrücke -

etwa doppelgaragengroßem „Gemeindehaus", einer genausogroßen Schule, und einer als „Banjos" deklarierten Hütte, wo es Waschgelegenheiten gibt. Alle Häuser sind übrigens Pfahlbauten, um ungebetene (vier- bis achtbeinige) Fußgänger aus den Wohnungen herauszuhalten. Wir lassen uns auf den Boden fallen und warten das Eintreffen der zweiten Gruppe ab. Pato packt den Proviantrucksack aus, und wir stellen fest, daß nicht nur die Kokoskekse nach Benzin schmecken, sondern wir sie auch nicht hinunterschlucken könen - weil wir auch kein Trinkwaser mithaben. Die Folge ist wieder mal eine von vielen Morddrohungen in Richtung Patricio („We kill you!"), die ohnehin einer der Running Gags der ganzen Reise sind.

Das Eintreffen der zweiten Gruppe deutet sich dadurch an, daß die Kinder mit dem Ruf „Ghazy kommt!" (er ist auch hier bekannt wie ein bunter Hund) in seine Richtung davonstürmen und sofort wiederkommen. Ghazy sagt keinen Ton, sondern schweigt trotzig unter einer Flut von Kraftausdrücken und Verwünschungen, die seine Mutter auf ihren mißratenen Dschungelführer-Sohn herabregnen läßt. Sie hatte mit einem gemütlichen Spaziergang durch den Urwald, aber nicht mit einer derartigen Knochentour gerechnet, und ist „geladen" wie eine heidnische Gewittergöttin.

Unter den neugierigen Augen der Indios packen wir erstmal aus und mittlerweile ist auch der Einbaum mit unserem Gepäck eingetroffen. Das Hochspannungsfeld um Grace wird mit einigen Gaben aus der Rumflasche vorsichtig abgeleitet, und gute Stimmung macht sich breit. Ron verteilt die Fotos, die er im vorhergehenden Jahr in Wentaro geschossen hatte, und unter großem Hallo und Palavern erkennen sich die Männer und Frauen auf den Bildern wieder und erinnern sich an den vorhergehenden Besuch des „loco Alemano" („den bekloppten Deutschen"). „weißt du noch, das war da, als das Kanu umkippte, und das Bild, da waren wir fischen... schau mal, so klein war dein Junge damals noch..."

Abends wird im festlichen Rahmen - beim Schein zweier Kerzen - ein Huhn geschlachtet und gebraten, und vor allem Ron und Ghazy pflegen die Konversation mit den Indios. Ron hatte vorheriges Jahr eines der Neugeborenen „getauft", und das Kind war inzwischen natürlich kräftig gewachsen - und stolz begutachtete der Pate sein Patenkind. Wir Besucher lassen die Rum- und Wodkaflasche kreisen. Positiv fällt mir auf, daß die Indios zwar rauchen, aber vom „Feuerwasser" die Finger lassen - obwohl sie ansonsten durchaus Alkohol trinken (nämlich besagtes Chicha-Getränk) und dabei auch orgienhafte Exzesse feiern. Das Bild, das manche nordamerikanischen Indianervölker bieten, nachdem der weiße Mann ihnen Hochprozentiges brachte, steht mir abschreckend vor den Augen.

Farbenprächtige Trachten, wie man sie etwa von den Hochlandindios der Anden kennt, gibt es hier übrigens nicht. Als die Huao den ersten Kontakt zur Außenwelt hatten, war ihnen Kleidung praktisch ein Fremdwort, und so richtet sich ihr Äußeres heute ausschließlich nach praktischen Gesichtspunkten: Boxershorts, T-Shirt und Gummistiefel sind eine Art Einheitsmode bei den Männern. Durch den Kontakt mit anderen Indios und Latinos haben viele auch ihr Äußeres angeglichen: die meisten Männer schneiden sich die Haare, und nur wenige, darunter Moi, tragen sie noch lang. Außerdem erfahre ich, daß die Huao bis vor kurzer Zeit, obwohl sie an Flüssen leben, reine Nichtschwimmer waren und das Wasser scheuten. Wir diskutieren noch eine Zeit darüber, daß bei den Huao - abhängig von der jeweiligen Verfügbarkeit der beiden Geschlechter - die Mehrehe erlaubt ist; es sind sowohl Fälle bekannt, in denen ein Mann zwei oder mehr Frauen hat (die, das ist zwingend, Schwestern sein müssen), aber es gibt auch Frauen in anderen Dörfern mit zwei Männern (für die sinngemäß das gleiche gilt. Die erstere Variante dürfte allerdings, aufgrund der kriegerischen Traditionen des Volkes und der deutlich erhöhten Sterberate unter den Männern, die Häufigere sein). Es geht dabei also weniger um viel Spaß in der Hängematte, als um die Notwendigkeit, jedes Stammesmitglied „unter die Haube" zu bringen - wobei junge Männer, die „keine abgekriegt haben", halt einfach bei einer der Schwägerinnen „geparkt" werden (und für die Mädchen gilt wiederum sinngemäß dasselbe). Außerdem ist eine bestimmte Form der Inzucht erlaubt: Cousins und Cousinen dürfen einander heiraten, mit zwei komplizierten Einschränkungen: die blutsverwandten Elternteile des Brautpaars (die

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