„Das Geld zerreißt unsere Familien"
- Von meinem Aufenthalt bei den Huaorani im Januar 2002 -

Verkleidung zwei nicht unbedingt eben kleine Stücke herausgebrochen sind. Wir informieren Ghazy, aber auch der hat im Moment andere Sorgen. Also heißt es wieder „Uno-Doz-Tres" und wir schieben das Gefährt ins Fahrwasser zurück. Patricio hat sich ein paar neue Varianten einfallen lassen und zählt „Uno-Tres-Doz" oder „Uno-Doz-Treinte" und trägt so wieder zur allgemeinen Aufmunterung bei. Überhaupt ist er auf dieser Tour die Zielscheibe aller und wird - spaßeshalber - für alle Mißgeschicke verantwortlich gemacht, die uns unterwegs so passieren und der Ausspruch „Kill the cook!" wird zum Runnig Gag der ganzen Fahrt.

Es wird 18.30 Uhr, es wird dunkel und in dem fahlen Mondlicht kann man Ica und seine Navigationszeichen nur noch als Silhouette erkennen, dennoch verringert Eloi das Tempo nur geringfügig. Ich leuchte mit der Taschenlampe auf meine Uhr: 19.15 Uhr. Als ich mich gerade frage, wie lange das noch gutgehen mag, bis wir das Kanu so dermaßen unglücklich vor ein Hindernis fahren, daß es in der Mitte auseinander bricht, tauchen plötzlich am Horizont zwei rote Positionslichter mitten in der Luft auf. Im gleichen Augenblick schreit Eloi von hinten mit hörbarer Erleichterung in der Stimme „El puente!" und alle atmen auf: Wir sind am Ziel!

Am liebsten würden wir jetzt alle direkt ins nächstgelegene Bett fallen, aber zuvor müssen wir noch das Kanu ausladen und zwar dieses Mal komplett, also auch den 200kg-Motor, denn hier an der Brücke ist es zu belebt, als daß wir das 17.000$ teure Teil über Nacht unbeobachtet am Fluß zurück lassen könnten.

Ich gebe zu, daß meine Nerven blank liegen. In Windeseile stellen wir auf der Bordwand des Kanus und entlang des Ufers unsere übrig gebliebenen Kerzenstummel auf, damit wir beim Ausladen etwas Licht haben. Zum Glück behält Ghazy den Überblick und dirigiert die ganze Mannschaft. Wir schleppen unsere Zelte, Gaskocher, die leeren Benzinkanister und unsere Rucksäcke, Kartons und Taschen das steile, schlammige Ufer hinauf. Den Motor, das schwierigste Teil, heben wir uns bis zum Schluß auf. Es ist eine Riesenstrapaze und ich bin froh, daß Ghazy mich dazu „eingeteilt" hat, den anderen mit meiner Taschenlampe das nötige Licht zu geben. So stehe ich oben am Flußufer und schaue hinunter, wie Eloi, Ica, Ghazy, Patricio und Robert sich abmühen, das Teil mit Hilfe zweier Plastikmatten das Ufer hinaufzuzerren. Wenn nicht gerade der Motor selbst wieder Richtung Wasser rutscht, tut es einer der Leute. Unter Fluchen und Zerren kommt er schließlich doch oben an und mit letzter Kraft hieven Ghazy und ich das Teil ins Wageninnere.

Als ich die Wagentür zuschlage, verspüre ich eigentlich nur noch einen Wunsch: endlich die nassen und verschwitzten Klamotten gegen die letzte trockene Hose und das letzte saubere T-Shirt zu tauschen. Doch Eloi reißt mich mit einem auf Huao hervorgestoßenen Schrei jäh aus meinen Gedanken. Ghazy und ich fahren herum und sagen im gleichen Moment „Mierda!" bzw. „Oh Fuck!". Sofort brüllt Ghazy irgendein Kommando Richtung Eloi, der daraufhin mit einem für sein Alter sehenswerten Sprung im Wasser ist, und - halb schwimmend, halb laufend - unserem Kanu hinterher hechtet, daß sich gerade anschickt, hinter der Flußbiegung zu verschwinden... wir haben nach all dem Streß schlichtweg vergessen, es am Ufer festzumachen. Trotz dieser neuerlichen Panne muß ich unwillkürlich laut loslachen und auch die anderen können kaum an sich halten. Es sieht aber auch einfach zu komisch aus, wie unser Kanu als fliegender Holländer mit den brennenden Kerzen allein auf dem Fluß treibt, in wilder Jagd verfolgt von einem Indianer. Gebannt von dieser unwirklichen Zeremonie stehen wir alle wie angewurzelt auf unseren Plätzen entlang des Ufers und sind gespannt, wie diese Verfolgungsjagd wohl ausgeht.

Was soll ich sagen? Fast selbstverständlich, daß Eloi wenige Augenblicke später pudelnaß mit dem Kanu im Schlepptau wieder hinter der Flußbiegung auftaucht und triumphierend winkt. Wir applaudieren dem erfolgreichen Jäger und ich rutsche schnell das Ufer hinunter, schnappe das Seil, das er mir zuwirft, und wir machen das widerspenstige Gefährt am Ufer fest und fallen uns in die Arme und mein langsam trockendes T-Shirt ist wieder patschnaß. Jetzt aber endlich umziehen! Doch wo ist mein Rucksack? Ich suche in Alfonsos Haus, im Wagen,

nächste Seite