„Das Geld zerreißt unsere Familien"
- Von meinem Aufenthalt bei den Huaorani im Januar 2002 -

Jetzt heißt es auf Patricio warten und eines schönen Morgens steht er gegen 11 Uhr breitbeinig und breit grinsend wie immer mit einem „Buenos dias, Amigo!" in meinem Zimmer. Ich hüpfe aus meinem Feldbett und unsere stürmische Begrüßung weckt Robert auf, meinen diesjährigen Begleiter und seines Zeichens Geologe. Ich mache die beiden bekannt und wir gehen die weiteren Planungen an. Da Patricio wirklich gut kochen kann, überlassen wir die Lebensmittelfrage ihm, gehen aber jedes Detail sorgfältig mit ihm durch. Großartige „Versorgungspannen" können wir uns nicht leisten, und so begleiten Robert und ich ihn dann auch in den Supermarkt, wo wir insgesamt 230 US-Dollar für Nahrung, Trinkwasser und andere „Genußmittel" (namentlich eine Flasche Rum, die ich als kleinen Luxus in einen von unseren drei Einkaufswagen lege) ausgeben. Wir fahren mit dem Bus, Ghazy wird uns mit seinem alten Landrover (Baujahr '56) später dort abholen.

Heute wollten wir eigentlich losfahren, aber mit Rücksicht auf Patricio, der gerade erst aus den Anden zurückgekehrt ist, verschieben wir die Tour um einen Tag und beschließen die Abfahrt für morgen abend 19 Uhr. Außerdem steckt uns allen noch Ghazys gestrige Geburtstagsparty in den Knochen, und wir wollen noch einmal eine Nacht vernünftig ausschlafen, obwohl wir eigentlich alle drei wissen, daß daraus nichts wird: Die vergangenen Nächte haben wir schließlich auch mit so wichtigen Dingen verbracht, wie einen Belichtungstisch für Ghazys Siebdruckerei zu reparieren oder ein Schachspiel für drei Personen zu konstruieren...

Den Rest des Nachmittags verbringen wir bei eingangs erwähnter Grace in ihrer Galerie in Quito, nachdem wir unseren Van am Flughafen abgeholt und Patricio Ghazys Landrover in die Werkstatt gefahren hat, bzw. fahren wollte. Denn mitten in einer dreispurigen Unterführung in Quito bleibt er plötzlich liegen: Der Wagen hat keinen Sprit mehr. Unter wilden Flüchen und lautstarkem Gehupe auf der sehr belebten Straße setzen wir mit unserem Van zurück und schleppen den alten Boliden an seinen vorgesehenen Platz in die Landrover-Werkstatt, wo sich noch einige andere Autos selben Typs und offensichtlich auch selben Baujahrs befinden. Ich mokiere mich wie immer über den Zustand seines Wagens und biete Ghazy die Wette an, daß ich mindestens 20 Gründe finde, warum er dieses Auto in Deutschland keinen Meter bewegen dürfe, aber irgendwie hat er auf alles eine Antwort: Gut, der Wagen habe zwar keine Blinker, aber er hat sich einen Kippschalter eingebaut, wenn er den an- und ausschaltet, blinkt es (zumindest vorne rechts). Auch einen Scheibenwischer hat er mittlerweile an der Fahrerseite, der von einer kleinen Batterie gespeist wird. Die Wasserkühlung des Motors haben wir tags zuvor noch mit einem Infusionsschlauch repariert und die Geschwindigkeit kann man zwar nicht am Tachometer ablesen, aber das Fahrgeräusch gibt darüber zuverlässig Auskunft, wie Ghazy behauptet. „Und was mit dem Sicherheitsgurt?", frage ich, denn ich weiß, daß mittlerweile auch in Ecuador der Fahrer des Wagens einen tragen muß. „Der liegt im Kofferraum!", antwortet mein Freund schlagfertig wie immer (eine Antwort, die er auch einem Polizisten noch geben wird). Wir lachen gemeinsam und beschließen, daß die Wette mit einem Patt geendet hat.

Auf dem Weg zu Grace fragt mich Ghazy plötzlich ziemlich unvermittelt, was ich davon halten würde, wenn wir seine Mutter fragen würden, mit in den Dschungel zu kommen. Für mich ist diese Vorstellung so unvorstellbar, daß wir noch darüber lachen, als wir schon vor ihrer Haustür stehen. Später beim Kaffee fragt sie mich dann: „Also, morgen fahrt ihr in den Oriente?" und ich pruste direkt wieder los: „Ja, klar... willst Du mit? Sag' einfach 'yes' oder 'si'!" Ihre Perplexität dauert nur wenige Sekunden, dann sagt sie: „Meinst Du, das könnte ich schaffen?". „Aber natürlich", sage ich, allein schon, um ihr nicht zu nahe zu treten. Sie blickt fragend zu Ghazy und der springt natürlich sofort in die Bresche. Zu meiner riesengroßen Überraschung ist ihr nächster Satz: „Ok, was muß ich alles mitnehmen?" und von da an gibt es kein Zurück mehr, weder für uns, noch für sie.

Ich freue mich riesig über ihre Spontanität, sie schwingt sich sofort ans Telefon und beginnt zu organisieren: Ihren Schülern absagen (denn sie gibt auch Malunterricht), einen Platz für ihren Kanarienvogel finden usw. Wir verabschieden uns, damit sie in Ruhe alles vorbereiten kann und widmen uns wieder den wirklich wichtigen Dingen des Lebens zu (Drei-Personen-Schach, etc.). Außerdem müssen

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